Das Cholmoos oder Die Geschichte vom verbotenen Teich

14. Mai 2019
Irene Briner
Cholmoos

Die Geschichte vom verbotenen Teich kommt mir immer wieder in den Sinn. Und ich habe sie schon oft erzählt. Gefunden habe ich sie in der Sammlung "Orientalische Frauenmärchen" von Hannelore Marzi. Das Märchen ist aus Oman.

Hier ist die Geschichte der jungen Frau, die nicht nur schön war...

In alten Zeiten gab es eine Stadt, in der wurde das Wasser für Gold verkauft. Alle Brunnen und Bäche und Quellen des Landes waren versiegt, und kein Regen fiel, denn der König war ein Tyrann. Da suchten die Bewohner der Stadt einen Magier auf und baten ihn, er möge ihnen Wasser verschaffen. Der Magier verlangte einen hohen Preis. Sie zahlten ihn, und er liess eine Quelle und einen Tech entstehen und sprach: "Sollte je eine Frau in diesem Teiche baden, wird er austrocknen, und die Quelle wird niemals wieder sprudeln." Und er nahm sein Gold und ging.

Da setzten die Bewohner der Stadt einen Wächter ein, der sollte achtgeben, dass kein Mädchen in dem Teich bade. Der Wächter aber war ein junger Mann von zwanzig Jahren.

Eines Tages hielt er Wache am Teich und sah ein Mädchen auf der Strasse daherkommen. Das Mädchen kam von weit her. Es trug schwer an der Last auf seinem Rücken, und sein Schritt war müde. Der junge Wächter versteckte sich im Gebüsch und beobachtete, wie das Mädchen näher kam. Er sah, dass es süss und schlank und schön war, und sein Herz verlangte nach ihm.

Die Fremde kam zu dem Teich und machte halt unter einem Baum. Sie blickte sich nach allen Seiten um und bemerkte keine Menschenseele. Dann setzte sie sich im Schatten nieder, denn ihr war heiss, und sie war müde, und zog alsbald die Schuhe aus; dann legte sie den Umhang ab, die Bluse und die weite Pluderhose und stand auf. Da war sie nackt und strahlend schön, ein wahrer Edelstein an Schönheit!

Sie trat nun an den Rand des Teiches, dessen kühle Tiefe sie zum Baden einlud. Doch ehe sie ins Wasser tauchten konnte, da sprang der junge Mann aus dem Gebüsch hervor und schlang die Arme eng um sie und hielt sie fest. Sie schrie vor Schreck. Er aber sprach: "Hab keine Angst! Ich bin der Wächter hier am Teich und darf nicht dulden, dass du darin badest."

Das Mädchen sah in zornig an und rief: "Wie konntest du mich meine Kleider ausziehen lassen, wenn du doch wusstest, dass ich hier nicht baden darf?"

Da lachte er und sprach: "Die Kleider auszuziehen ist nicht verboten. Das zu verbieten, bin ich nicht befugt. Wie dürfte ich denn meine Rechte so weit überschreiten?"

Sie sah ihn böse an und sagte: "Lass mich los, damit ich meine Kleider wieder anziehen kann."

"Erst einen Kuss", bat er, "dann lass ich dich gehen!"

Sie lachte und rief fröhlich: "Gut! Doch musst du mir den Kuss bezahlen und warten, bis ich angezogen bin! Für einen Dinar lasse ich mich küssen, doch nur auf die Wange!"

Der junge Mann war einverstanden, und sie zog ihre Bluse und die Pluderhose wieder an und legte schliesslich ihren Umhang um. Er gab ihr den Dinar, und sie erlaubte, dass er ihre Wange küsste ... und ihren Mund? Nein, das verbot sie ihm. "Gib mir erst fünf Dinar! Das ist der Preis für die Erlaubnis, meinen Mund zu küssen." Da gab er ihr das Geld und küsste ihren Mund. Er hielt sie fest im Arm... und fingerte am Knoten der Pluderhose. "Halt!" rief sie gleich und packte seine Hand und sagte: "Gib mir zwanzig Dinar! Dann erst darfst du den Knoten in der Kordel meiner Pluderhose lösen."

Er zahlte ihr das Geld und löste dann den Knoten... und wollte seine Hände weiterwandern lassen... Da stiess sie ihn mit Macht zurück und traf ihn dort, wo es am meisten schmerzt. Der Arme krümmte sich und wälzte sich in Qual und Pein am Boden. Sie hob ihr Bündel auf und lief davon und rief: "Es war die zwar erlaubt, den Knoten aufzubinden, doch weiter war dir nichtst gestatt! ... Du meinst, ich hätte es dir früher sagen sollen und dich warnen müssen? Warum? Hast du mich denn gewarnt? Du hast genau gewusst, als ich mich auszog, dass ich baden wollte, hast mir in aller Ruhe zugesehen und dabei doch die ganze Zeit gewusst, dass es nicht sein darf und verboten ist. Jetzt sind wir quitt!"

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