Lina fährt mit der Spanisch-Brödli-Bahn

08. Aug 2022
Irene Briner

Weil ich nirgendwo eine wirklich passende Geschichte gefunden habe zu diesem Jubiläumstag im Schweizer Kindermuseum, habe ich kurzerhand selbst eine Geschichte geschrieben. Natürlich habe ich zuerst stundenlang recherchiert. Schliesslich sollte meine Geschichte schon den historischen Tatsachen gerecht werden ...

Danke, liebe Leute vom Kindermuseum, für diesen wundervollen Tag!

Also hier ist meine Geschichte zur Jubiläumsfeier «175 Jahre Spanisch-Brödli-Bahn» im Schweizer Kindermuseum in Baden.

© Irene Briner, 7. August 2022

Lina durfte mit ihrer Mutter mit … 

Die Mutter war Küchenmagd in einem herrschaftlichen Zürcher Haus. 

Und musste darum jeden Samstagabend von Zürich nach Baden marschieren. 5 Stunden lang hin und am Sonntag ganz früh am Morgen wieder zurück. In Baden gab es eine Bäckerei. Die machte die besten Spanisch Brödli weit und breit. Und weil es die besten waren, wollten die Herrschaften nur diese am Sonntag auf dem Zmorgetisch haben. 

Bis eines Tages die Eisenbahn kam. 

Die Lokomotive hiess «Limmat». 

«Meine Mutter», erzählte Lina ihren Nachbarskindern, «sagt, die Lokomotive spuckt Rauch und Dampf und sie zischt ganz laut! Sie ist sicher der Limmatdrache. Am nächsten Sonntagmorgen darf ich mit. Und dann erzähle ich euch, was für ein riesiger Drache die Eisenbahn ist.» 

Ganz früh am Sonntagmorgen weckte die Mutter Lina. Sie musste ihren warmen Mantel anziehen. Und die Kappe mit dem roten Zöttel. 

Der Bahnhof sah aus wie ein grosses Schloss, fand Lina. Viele Leute waren unterwegs. Es war laut und roch nach Russ. Und dann sah Lina die grosse schwarze Lokomotive. Der schwarze Drachen, dachte Nina. Schnell versteckte sie sich hinter ihrer Mama. Am Schalter kaufte sie ihre Billette. Und schon mussten sie pressieren. 

«Sonst», meinte die Mutter, «gibt es keinen Sitzplatz mehr am Fenster für dich».

Plötzlich gellte ein lauter schriller Pfiff durch den Bahnhof, so dass Lina erschrak und gar nicht mehr mitfahren wollte. Sie zitterte vor Angst. Aber ihre Mama nahm sie auf die Arme und hob sie in den hintersten Wagen. Sie hatten wirklich Glück und ergatterten einen Platz am offenen Fenster. 

Nochmals gellte ein Pfiff durch den Bahnhof und dann sah Lina, wie der Bahnhof ganz langsam begann zu gehen. Sie war ganz verwirrt. Ihre Mama hob sie hoch, und so konnte sie zum Fenster hinausschauen und sah, dass der Zug sich bewegte und der Bahnhof stehen blieb. 

Ein erster Schwall Rauch brachte Lina zum Husten. Es brannte in den Augen und stank nach verbrannten Kohlen. Lina zog den Kopf ein. 

Und schon fuhr die Bahn aus der Stadt hinaus. Auf der einen Seite konnte sie schon die Kirchturmspitze von Altstetten sehen. Und auf der anderen Seite erhaschte sie ab und zu einen Blick auf die Limmat. Die Bäume und Häuser fuhren ganz schnell vorbei. Wenn Lina nach vorne zum Fenster hinausschaute und einen grossen Baum sah, kam der ganz schnell immer näher, wurde grösser und sauste an ihr vorbei. Schnell drehte sie sich um und sah den Baum verschwinden. «Ist der Baum noch da, Mama, wenn wir wieder zurückkommen?», fragte sie. Die Mutter lachte und erklärte ihr, dass es so sei, wie wenn sie durchs Quartier renne. Sie solle sich vorstellen, dass sie selbst statt Beine Räder habe und nur auf Schienen laufen könne. «Aha», meinte Lina, traute der Sache aber noch nicht ganz.  

Es war sehr kalt und der Wind trieb immer wieder Rauch in den Eisenbahnwagen. Die Leute husteten. 

Am Bahnhof in Altstetten stiegen noch mehr Leute ein. Es wurde eng und Lina krabbelte auf den Schoss ihrer Mutter. 

«Wie lange dauert die Reise noch, Mama?», fragte sie. «Wir halten noch in Schlieren und Dietikon, bevor wir nach Baden kommen», meinte die Mutter. 

An beiden Orten stiegen wieder Leute in den Zug. Einige waren ganz aufgekratzt. Sie hatten grosse Taschen dabei. Lina hörte, wie sie vom Kurbad in Baden schwärmten und sich auf das heisse Bad, die Musik, den Tanz und feines Essen freuten. Ja, in Baden, da war etwas los! Nicht so wie in Zürich, wo man nicht einmal mehr Torten und feine Spanische Brödli backen durfte. 

Es rüttelte oft sehr, so dass Lina immer wieder erschrak und sich an ihrer Mama festhielt. Dann fuhr die Eisenbahn an einem grossen Schloss vorbei mit einer grossen Kirche. «Das ist das Kloster Wettingen, kein Schloss, Lina», sagte die Mutter. «Vor ein paar Jahren wurden die Mönche vertrieben», erklärte sie. «Es gab einen fürchterlichen Streit.» 

«Mama, hilfe!», schrie Lina. Plötzlich wurde es rabenschwarze Nacht. Der Zug fuhr in einem Tunnel unter dem Badener Schlossberg durch. Die Lokomotive pfiff so laut und lange, dass Lina sich die Ohren zuhielt.  

Und dann fuhr der Zug ganz langsam in den Bahnhof in Baden ein. Schon standen alle auf und drängelten durch den Gang zum Ausgang. 

Die Treppe aus dem Zug war so steil, dass Lina sich am Geländer festklammern musste. Und der letzte Tritt so hoch, dass jemand sie kurzerhand hochhob und auf den Bahnsteig stellte. 

Die Mutter zerrte Lina an der Hand durch das Getümmel aus dem Bahnhof, direkt in die Badener Altstadt. 

Und schon konnte sie die feinen Spanisch Brödli riechen. Die Mutter füllte ihren Korb mit dem luftig-knusprigen Gebäck, legte ein Tuch darüber und schob Lina zur Bäckerei hinaus auf die Gasse. «Schnell, schnell, Kind, die Bahn fährt schon bald wieder zurück nach Zürich!» 

«Aber, wo ist denn das warme Wasser, von dem die Leute erzählt haben, Mama?», fragte sie. «Das Bäderquartier ist unten an der Limmat», sagte die Mutter. «Auf der Heimfahrt erzähle ich dir, wie man die heisse Quelle entdeckt hat. Aber jetzt lauf schneller, wir dürfen die Bahn nicht verpassen!» 

Viele andere Bedienstete hasteten auch zum Bahnhof und in den Zug, der schon wieder abfahrbereit auf die Reisenden wartete. Aus vielen Körben und grossen Spanschachteln zog der wunderbare Duft der Spanisch Brödli durch den Wagen. 

«Wottsch au eis, Chind?» Eine Frau mit einer gestärkten Haube streckte Lina ein Spanisch Brödli hin. Lina schaute ihre Mutter an, und als sie nickte, streckte Lina schnell ihre Hand aus und schnappte sich das noch warme Brötli. «Dank heigit, Frau!» Lina biss in das vielschichtige, luftige Gebäck. «Mmmmhhh…!» 

Wieder pfiff und zischte die Lokomotive so laut, dass Lina vor Schreck fast ihr Brödli fallen liess. Die Bahn rumpelte zum Bahnhof hinaus und wurde vom Schwarz im Tunnel verschluckt. 

Auf der Heimfahrt erzählte die Mutter Lina, was sie alles von den Spanisch Brödli wusste, dass sie so gut riechen, weil darin gleich viel Anke wie Mehl enthalten ist, und weil sie ganz langsam gebacken werden. Und dann wollte Lina auch noch die Geschichte hören, wie man in Baden das heisse Wasser entdeckte. Und so erzählte die Mutter die uralte Geschichte von der kranken Helveterin Ethelfrieda und ihrem Geliebten Siegawyn. Wie der heldenhafte Krieger Siegawyn nicht mit der Sippe nach Westen zog und sich mit Ethelfrieda im Wald oberhalb der Limmat versteckte. Eine Geiss blieb mit ihnen zurück. Ethelfrieda und Siegawyn hatten nichts zu essen als ihre Milch. Doch eines Tages lief die Geiss davon und kam nicht wieder. Siegawyn ging sie suchen. Er hatte eine schon verwelkte Blume im Knopfloch. Plötzlich hörte er die Geiss meckern. Er beugte sich über eine Felswand und sah die Geiss weit unterhalb, wie sie Wasser leckte. Es roch salzig und unbekannt komisch. Die Blume fiel nach unten ins Wasser. Siegawyn suchte sich einen Weg zum Wasser und als er bei der Geiss war, sah er, dass die Blume wieder erblüht war. Er dachte, wenn die Blume wieder gesund wird, dann wird Ethelfrieda mit diesem Wasser auch wieder gesund. Und so war es.  

Als die Mutter die Geschichte zu Ende erzählt hatte, merkte sie, dass Lina auf ihrem Schoss eingeschlafen war. 

Schlagartig erwachte Lina, als der Zug bei der Einfahrt in den Bahnhof Zürich nochmals laut, schrill und lange Pfiff. Der ganze Bahnhof wurde in eine Dampf- und Rauchwolke eingehüllt. Noch ein letztes Mal schaute Lina aus dem Fenster, dann stand die Eisenbahn still. 

Lina wischte sich vor dem Aussteigen mit dem Handrücken die letzten Brösmeli aus den Maulecken. Als sie ihre Hand anschaute, sah sie, dass sie ziemlich schwarz war. «So sieht auch dein Gesicht aus, liebe Lina», lachte die Mutter. 

Am nächsten Tag erzählte Lina den Nachbarskindern ihr erstes Eisenbahn Abenteuer: Die Loki ist laut und spuckt wirklich Rauch und Dampf! Und der Bahnhof bleibt stehen und die Eisenbahn fährt und es rumpelt ganz schrecklich und der Zug wackelt hin und her wie wenn er wirklich ein Drache wär, der rennt. Und es wird plötzlich schwarz und dann gibt es noch ein Kloster und dann waren wir schon in Baden und es war gruselig und ich will bald wieder mitfahren und dann gehen wir baden in der heissen Quelle und essen ganz viele Spanisch Brödli. 

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